Schreibwerkstatt in Berlin
11. Oktober 2023. Der Deutsch-LK von Herrn Reiner besucht die East-Side Gallery in Berlin, die längste Open-Air Galerie der Welt – aber wieso? Das Stichwort lautet: Schreibwerkstatt.
An dem ca. 1,3 km langen Freiluftmuseum in Berlin-Friedrichshain angekommen, zeigten sich dem Kurs nicht nur zeitgeschichtliche und kulturelle Eindrücke verschiedener internationaler Künstlerinnen und Künstler zur Zeit des Mauerfalls, nein, die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer sollten selbst kreativ werden.
Mit Stift und Papier gewappnet, bekamen die Teilnehmenden jeweils einen zufälligen Oberbegriff und konnten frei nach ihrer eigenen Kreativität eine Geschichte, ein Gedicht oder ein kurzes Drama zu ihren Eindrücken aus Berlin schreiben. Diese wurden anschließend einander vorgestellt. Dabei ging es von Angst und Freude über Verwesung und Blüte bis hin zu Einheit und Widerspruch hoch hinaus – einige Texte machen sogar den deutschen Vorzeigelyrikern Konkurrenz! Liebe Schulgemeinschaft, wir freuen uns somit, die Ergebnisse unserer Schreibwerkstatt nun veröffentlichen zu können. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Durchstöbern!
Angst und Freude
geschrieben von Alyssa und Moritz
Alle müssen sich gleichen.
Wir dürfen nicht lieben.
Den Würmern muss man folgen.
Sie wissen, was richtig ist.
Dein Selbst, du bist egal
Gefühle. Der andere Ekel; Banal.
Behalt ihn gefälligst für dich!
Träume sind nicht löblich.
Hör auf die Mutter
Hör auf die Würmer;
Sie wissen, was richtig ist.
Die Mauer bricht nicht.
Die Welt, das Pulk schaut auf dich.
Die Liebe ist nicht löblich.
Niemandsland
geschrieben von Jorlind, Emily und Mira
Gefangen hier im Niemandsland
Keiner von uns wird erkannt
Über uns das Himmelstor
Steigen wir hinab oder empor?
Doch wie war es hier zuvor, hinter der Wand
für jeden Niemand hier im Niemandsland
in der Wüste von Unterdrückung, von Ignoranz
tanzen wir den Regentanz
In Hoffnung auf einen grünen Zweig
Im dunklen Nebel tief entzweit
Zwischen Lügen und Intrigen
Ist uns nicht mal eins geblieben
Die Heimat hat man uns genommen
Ließ sie kläglich unter Gewalt verkommen
Wir sind ohne Zuflucht in dieser Welt untergebracht
In einem engen, dunklen Schacht
Gegeneinander aufgerichtet
Wie der Stacheldraht, der uns umgibt
Keine gute Hand die richtet
In dem Land das keinen liebt
Und zur Rettung naht uns keiner
Entweder du stirbst oder verweigerst
Ohne Hoffnung hier gefangen
Im dunkelroten Niemandsland
Frieden und Gewalt
geschrieben von Fabienne und Ayleen
Die Freiheit so nah und doch so fern
rückt die Bedrohung der Mauer immer näher.
Der Versuch der Flucht wird hart bestraft,
so der Fluss aus Blut uns traf.
Der Schmerz so tief in unseren Herzen,
nie vergessen werden wir die Gewalt an unseren Liebsten!
Doch hat sich der Kampf gelohnt,
der Drang nach Freiheit wird belohnt.
Die Mauer ist davon,
ein Licht seh´n wir komm.
So tanzen wir voll Euphorie,
denn die Freiheit hat gesiegt.
Kein Krieg oder Mauer soll uns wieder trenn;
denn ließ dies unsere Herzen brenn!
So halten wir uns fest an den Händen,
der Zusammenhalt soll niemals enden.
Der Respekt wird großgeschrieben,
denn wir woll´n ihn nicht verlieren.
Der Tanz der Freiheit tut uns gut.
Und gibt uns Stärke, macht uns Mut.
So halten wir fest,
den Sprung in die Freiheit: der Deutschen Einheit!
Vergangenheit und Gegenwart
geschrieben von Herrn Reiner
“Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.” (Erich Fried)
Berlin, 11. Oktober 2023, ich sitze am Ufer der Spree in einem der vielen kleinen gastronomischen Betriebe und lasse meine Gedanken schweifen. Die Sonne scheint. Zwei Tage Studienfahrt sind bereits vorüber, Vergangenheit, der dritte Tag ist in vollem Gange, Gegenwart, zwei weitere Tage folgen noch, Zukunft.
Heute soll ich einen epischen, lyrischen oder dramatischen Kurztext verfassen. Gar nicht so einfach: Mit der Lyrik habe ich es nicht so, die Dramatik ist schwer umzusetzen, bleibt also nur die Epik.
Beim Flanieren vor der East Side Gallery fiel mit besonders das Bild zum Zitat von Erich Fried auf und so umkreisen meine Gedanken sein Zitat:
Will ich, dass die Welt so bleibt, wie sie ist? Ja! Ich lege Wert auf Traditionen und Regeln und Werte. Fried, den ich sonst durchaus für seine scharfsinnigen und scharfzüngigen Beobachtungen schätze, hätte hier also keine Freude an mir gehabt.
Warum will ich, dass die Welt so bleibt, wie sie ist? Weil dies Sicherheit gibt in einer Welt, die von Unsicherheit geprägt ist.
Ich sitze hier im friedlichen Sonnenschein, während 1200 Kilometer von hier gen Osten Bomben und Raketen und Gewehre Menschen töten, während 2900 Kilometer von hier gen Süden ein Staat wieder einmal von Terroristen angegriffen wird und friedlich feiernde Musikfestivalbesucher wahllos erschossen werden.
Dieses „Es bleibt, wie es ist“, ist es nicht, dass ich meine. Hier wünsche ich mir Veränderung zu einer friedlicheren Welt.
Ich meine Werte wie Höflichkeit, Respekt, Pünktlichkeit oder Einsatzbereitschaft. An denen will ich keine Veränderung zum Negativen. Das wünsche ich mir für die letzten zwei Tage und nächsten Monate und Jahre: Höflichkeit, Pünktlichkeit, Respekt und Einsatzbereitschaft.
Was in der Vergangenheit sinnvoll war, kann auch in Gegenwart und Zukunft nicht ganz verkehrt sein.
Ich sitze noch immer am Ufer der Spree, was ich geschrieben habe, ist schon Vergangenheit, was ich noch zu sagen hätte, ist Gegenwart und Zukunft.