Liebe und Tod im Deutschunterricht

In den vergangenen Wochen haben die Schülerinnen und Schüler der achten Klassen im Rahmen der Schreibwerkstatt mit Begeisterung Kurzgeschichten und Gedichte zum Thema „Liebe und Tod“ verfasst. Jede Klasse hat aus den zahlreichen kreativen Texten den ausgesucht, der ihrer Meinung nach am besten gelungen ist. Die Texte der Klassensieger können hier im vollen Umfang gelesen werden.

Durch Klicken auf die Titel könnt ihr direkt zu den Geschichten springen:

Das alte Tagebuch von Tyren Hawranke (8c)

Ruf der Sirenen von Kiona Ronnewinkel (8e)

Kirschbaumblüte von Francisca Heidelberg (8f)

Liebe und Tod- Die Taschenuhr von Maximilian Winkler und Daniel Margraf (8d)

Liebes Tagebuch von Louise Pascheberg (8b)

Das Leben meiner Schwester von Anneke Bruens (8a)

 

Das alte Tagebuch von Tyren Hawranke

Eine Dachbodentür ging auf und eine Frau betrat den Raum. „Meine Güte, ist das hier unordentlich. Der Dachboden muss dringend einmal aufgeräumt werden!“, seufzte die Frau. Als sie die erste Kiste wegräumte, fiel ihr ein altes Buch entgegen. „Was für ein Buch kann das denn nur sein?“, fragte sie sich. Als sie es aufschlug, kam ihr eine Staubwolke entgegen. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, begann sie damit, die erste Zeile zu lesen. „Ah, ein altes Tagebuch!“, räusperte sie und las neugierig weiter.

„Liebes Tagebuch, heute werde ich die Geschichte meiner großen Liebe verewigen, um mich später immer wieder an die Geschehnisse erinnern zu können.

Es war an einem schönen sonnigen Valentinstag, als ich meine große Liebe das erste Mal getroffen habe. Ja, ich weiß, das klingt etwas kitschig, war aber so. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Ich war auf dem Weg zu meinem Freund und sah dieses Mädchen. Sie war so wunderschön mit ihren kristallklaren blauen Augen, langen, schönen, blonden Haaren, ihrem strahlenden Lächeln, wunderschön gefärbten Lippen und dem perfekten Körper. Ich wurde knallrot und mir wurde auf einmal brennend heiß. Ich glaube, so fühlt sich Liebe auf den ersten Blick an. Ich wollte und musste sie ansprechen, denn mir wurde bewusst, dass ich sonst nie wieder eine weitere Chance bekommen würde. Also tat ich so, als hätte ich mich verirrt, und sprach sie nervös an: „Entschuldigung, ich bin auf dem Weg zu meinem Freund und habe mich verlaufen. Könntest du mir sagen, wo ich die Kieselweger Straße finde?“ Glücklicherweise meinte sie, dass sie sich hier gut auskenne und auch auf dem Weg dorthin sei. Ich wurde wieder knallrot. Blöderweise legte sie daraufhin ihre Hand auf meine Stirn und fragte:“Huch, ist dir heiß? Hast du Fieber?“ – Ihre Stimme war so zuckersüß, dass ich zu schüchtern war, um zu antworten. Sie nahm mich an ihre Hand – sie hatte so sanfte, weiche Hände – und führte mich zur Kieselweger Straße.

Auf der Kieselweger Straße sagte sie: „Ich bin eigentlich nur hier, um einem Klassenkameraden eine Klassenarbeit zu überreichen. Er wohnt hier bei der Nummer 13.“ Ich erwachte aus meiner Schüchternheit und fragte: „Dein Klassenkamerad heißt nicht zufällig Mason?“ Sie entgegnete:“Ja, woher…warte, ist Mason der Freund, den du besuchen möchtest?“ Die Haustür ging auf und Mason kam raus, um uns zu begrüßen. „Hey, was macht ihr beide denn hier draußen? Kommt doch rein!“

Mason bekam die Klassenarbeit von dem Mädchen überreicht – wie erwartet von einem Streber, war es eine „1“. Anschließend fragte mich das Mädchen: „Wie heißt du eigentlich?“ Ich antwortete und fragte nach ihrem Namen. „Ich heiße Al…“ „MASON!“, rief plötzlich dessen Mutter aus der Küche und unterbrach das Mädchen damit, „Was möchten unsere Gäste zu trinken haben?“ Mason fragte uns, was wir wollten, und sagte es seiner Mama, die uns kurz darauf die Getränke brachte. Das Mädchen meinte kurz danach, dass sie nun gehen müsse. Ich war ein wenig wütend und traurig zugleich, weil ich immer noch nicht wusste, wie sie hieß, traute mich jedoch nicht, sie noch einmal zu fragen. Mason konnte ich auch nicht fragen, da es niemand wissen durfte, dass ich in sie verliebt war.

Um für „meine“ Liebe zu kämpfen, setzte ich mir anschließend drei Ziele:

I. Ich werde auf jeden Fall versuchen, nicht mehr so schüchtern zu sein!
II. Ich werde versuchen, mich dem Mädchen mit Masons Hilfe unauffällig zu nähern!
III. Ich muss ihr meine Liebe gestehen, da sie meine große Liebe ist!

Wie wird sie wohl heißen? Ich habe mir mehrere Namen gedacht: Elisabeth oder vielleicht Alena oder Elsa? Aber die Anfangsbuchstaben lauteten ja „Al“. Ich beschloss also, das Mädchen von nun an einfach „A“ zu nennen.

Da ich in den folgenden Wochen nur noch „A“ im Kopf hatte, wurde mir erst später bewusst, dass sich meine Schulnoten weiter verschlechtert hatten und ich schon sehr versetzungsgefährdet war. Jedoch durfte ich nicht sitzen bleiben, damit sich meine Chancen bei meiner großen Liebe nicht verschlechterten.
Gegen Ende des Schuljahres stellte sich heraus, dass sehr viele meiner Mitschüler sitzen blieben – ich hatte es glücklicherweise aber noch geschafft, meine Noten zu verbessern. Aus diesem Grund wurde unsere Klasse aufgelöst und wir Verbliebenen wurden auf die anderen Klassen verteilt. Da wir uns wünschen konnten, in welche Klasse wir gehen wollten, kam ich zu Mason und meiner heimlichen Liebe.
Ein Teil meines Traumes war in Erfüllung gegangen. Endlich konnte ich mit „A“ mehr Zeit verbringen.

Wir – Mason, meine große Liebe „A“, ihre beste Freundin und ich – bildeten eine kleine Clique und wurden beste Freunde. Alles verlief reibungslos und genau nach Plan. Nun konnte ich mich „A“unauffällig nähern und sie besser kennen lernen. Ich habe in der Zeit auch ihren Namen erfahren, nenne sie hier aber trotzdem weiterhin nur „A“.

Eines Tages bekam ich von Mason eine Einladung zu einem Ball, der von seinem Sportverein gesponsert wurde:

„Hey! Ich wollte dich zu einem Ball einladen. Ich habe nämlich eine zweite Pärchen-Eintrittskarte zum Ball bekommen. Ich kann also noch einen Freund samt Begleitung mitnehmen. Also ist es deine Chance, endlich eine Freundin zu finden.

Dein bester Freund Mason“

Da kam mir der Gedanke: Ich kann „A“ fragen, ob sie mit mir zum Ball geht, vielleicht liebt sie mich ja auch…
Ich war mir nicht sicher, ob, wie und wann ich sie fragen und was ich anziehen sollte. Ich bat also „A`s“ Freundin um Rat. Sie ging mit mir schicke Kleidung für den Ball kaufen. Sie sagte mir, dass ihre Freundin auf schlaue, gut aussehende und offene Jungs mit Humor stehe. Zudem meinte sie, dass wir bei mir nur noch am Humor arbeiten müssten. „Auf jeden Fall muss dein Anzug sie so richtig aus den Socken hauen!“, sagte sie, „Aber zuerst musst du eine gute Einladung vorbereiten und den richtigen Moment abwarten. Dabei helfe ich dir natürlich.“

Am nächsten Tag hatten wir uns zu viert verabredet, um im Park rumzuhängen und zu picknicken. Wir machten es uns an einem schönen Springbrunnen gemütlich, an dem viele rote Rosen wuchsen. „A`s“ Freundin fragte Mason, ob die beiden nicht für uns alle Eis kaufen sollten, wobei sie mir unauffällig zuzwinkerte.

Auf dem Hinweg waren wir an einer Eisdiele vorbeigekommen. Vom Brunnen aus waren es circa fünf Minuten bis zu der Diele – insgesamt also zehn Minuten…zehn Minuten…nur „A“ und ich. Genau der richtige Moment für mich.
Mein Herz klopfte, mein Puls wurde rasend schnell, ich wurde nervös und hatte Angst, wie „A“ reagieren würde.
Würde sie meine Einladung annehmen, sie ablehnen oder mich sogar auslachen?…Ich atmete tief durch. Ich stand langsam und unauffällig auf und pflückte heimlich eine von den prächtig blühenden roten Rosen vom Springbrunnen und setzte mich neben „A“.

Nun reichte ich ihr die Rose und fing schüchtern an zu sprechen: „Mason hat mich zu einem Ball eingeladen. Möchtest du mich dorthin begleiten? Ich würde mich sehr darüber freuen.“ Ihre süßen Wangen wurden knallrot – war das ein gutes Zeichen? Sie roch an der Rose. Langsam fing sie an, ihre rosa Lippen zu öffnen. Mir lief es kalt den Rücken runter, ich war so gespannt, wie sie wohl antworten würde.

Sie sagte mit ihrer elfenhaften Stimme: „Meine Freundin hat mir von dem Ball erzählt“ – ‚Hat sie mich verraten?‘, schoss es mir durch den Kopf – „weil sie auch dort hingeht, mit Mason. Ich würde mich sehr freuen, mit dir zu dem Ball zu gehen. Dann machen wir vier uns einen tollen Abend.“ Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Ein wenig später kamen die beiden mit dem Eis zurück. Wir berichteten von der guten Nachricht und aßen fröhlich das Eis.

Zwei Wochen später war der große Tag. Endlich war der Ball da. An dem Morgen war ich so aufgeregt wie noch nie. Ich traf mich am Nachmittag mit Mason, weil wir uns gemeinsam zurechtmachen wollten. Anschließend holten wir abends die beiden Mädchen bei „A“ ab, da sich diese auch zusammen fertig machen wollten. Als wir bei „A“ ankamen, bat uns ihre Mutter herein, weil „A“ und ihre Freundin noch nicht ganz fertig waren – so wie Mädels nun mal sind… Circa 15 Minuten – gefühlte Stunden – später, kamen die beiden elegant die Treppe herunter. Bei dem Anblick der beiden blieb Mason und mir fast das Herz stehen. Wir machten ihnen Komplimente und es schien mir so, als würden sie uns auch schick finden. „A´s“ Mutter fuhr uns zur Stadthalle, in der der Ball stattfand.

Beim Ball angekommen, wusste ich nicht so recht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hielt mich an den Rat von Mason: „Immer ganz cool bleiben und nicht durchdrehen. Alles wird gut.“
Am Anfang blieben wir vier zusammen und gönnten uns ein Gläschen Sekt. Einige Zeit später zerrte „A´s“ Freundin Mason auf die Tanzfläche und zwinkerte mir wieder unauffällig zu. Nun waren „A“ und ich nur noch zu zweit.
Nach ein paar Minuten verlegenem Schweigen überwand ich meine lästige Schüchternheit und fragte sie, ob wir beide nicht an die frische Luft gehen wollten, da dort ein mit Blumen und Lichtern verzierter Pavillon aufgestellt war.

Als wir dort ankamen, begann ein neuer Song, zufälligerweise „A`s“ Lieblingslied „Flightless Bird“ – ein Walzer. Wir fingen langsam an, zu tanzen, und kamen uns immer näher. Das war der schönste Augenblick meines Lebens. Ich wünschte mir, dass der Song endlos wäre. Irgendwann tanzten wir nicht mehr, sondern umarmten uns nur noch und schauten uns in die Augen. Sie kam mir immer näher und ich näherte mich ihr. Wir küssten uns bis zum Ende des Liedes. Waren es fünf Minuten oder doch nur 30 Sekunden? Ich wusste es nicht, wir vergaßen die Zeit.

Das war meine Geschichte, wie ich meine große Liebe traf. Nun werde ich ihren Namen verraten. Sie heißt …“

„Alesa?! Kommst du runter zu den Kindern?“, rief jemand von unten. „Ja, ich bin gleich da!“, antwortete Alesa, während sie das alte Tagebuch wieder an seinen Platz zurücklegte.

 


 

Kirschbaumblüte von Francisca Heidelberg

Theodor von Strauchnitz wohnte in dem vorletzten Haus einer ruhigen Sackgasse in einem kleinen Dorf. Sein Haus war das größte und prachtvollste Haus des ganzen Dorfes. Überhaupt war er sehr reich. Die Bewohner fragten sich, woher er wohl seinen ganzen Reichtum hatte, denn sie haben nie mitbekommen, dass er arbeitete oder dass er eine reiche Familie hatte. Aber niemand traute sich ihn zu fragen. Theodor war als grimmiger, alter Mann im Dorf bekannt. Er ließ keine Gelegenheit aus, den Bewohnern mit kränkenden Bemerkungen den Tag zu vermiesen. Mal war es der Rasenmäher, der zu laut war, mal die Kinder, die draußen mit ihrem Ball spielten und zu laut lachten und mal der Hund, der zu laut bellte. Niemand aus dem Dorf mochte ihn wirklich. Und niemand wusste, woher sein Hass kam. Ganz besonders musste Karla, seine Nachbarin, unter seinem boshaften Verhalten leiden. Sie wohnte in einem bescheidenen Häuschen direkt neben ihm, besaß nicht viel und bekam auch nur eine kleine Rente, welche nur für das Nötigste reichte. Sie versuchte in ihrem Garten möglichst viel Obst und Gemüse anzubauen um irgendwie über die Runden zu kommen. Trotz allem war Karla immer freundlich zu allen und jeden Tag gut gelaunt. Jeder im Dorf mochte sie. In ihrem Garten stand ein riesiger Kirschbaum, den sie über alles liebte. Gerade dieser Kirschbaum war immer wieder ein Grund, warum Theodor Karla böse beschimpfte. Die Äste des Kirschbaums ragten nämlich an der äußersten Grundstücksgrenze über den Zaun auf sein Grundstück. „Sehen Sie zu, dass die Äste hier verschwinden“, schimpfte er immer wieder. Karla hingegen hatte nicht mehr die nötige Kraft, um diese abzusägen, also ließ sie das tägliche Geschimpfe über sich ergehen und war trotzdem weiterhin nett zu ihm. Eines Tages stürzte Theodor und brach sich das linke Bein. Nachdem er deshalb ein paar Tage im Krankenhaus verbracht hatte, wurde er von einem Taxi zurück nach Hause gebracht. Aus ihrem Küchenfenster konnte Karla beobachten, wie der Taxifahrer Theodor in seinem Rollstuhl zur Haustür begleitete. Sie hatte Mitleid mit dem alten Mann. Am nächsten Nachmittag nahm sie all ihren Mut zusammen und machte sich mit einem Glas selbstgemachter Marmelade auf den Weg zu ihm. Sie klingelte unsicher an der Haustür. Es dauerte ein bisschen, bis er die Tür öffnete. Er war sehr überrascht Karla zu sehen. „Ich habe Ihnen selbstgemachte Marmelade mitgebracht und hoffe, sie schmeckt Ihnen.“ Erstaunt über so viel Freundlichkeit hörte er sich sagen: „ Vielen Dank, kommen Sie doch bitte herein.“ Da stand Karla nun in dem riesigen Flur und sah sich um. Noch nie war sie in dem Haus gewesen, obwohl sie schon viele Jahre Nachbarn waren. Sie entdeckte im angrenzenden Zimmer eine Bibliothek mit unzähligen Büchern. Sie ging direkt darauf zu und staunte über die vielen Bücher. „Haben Sie die alle gelesen?“, fragte sie fassungslos. „Nein, leider nicht alle“, antwortete er. „Mit dem Alter wurden meine Augen schlechter, sodass mir das Lesen sehr schwer fällt.“ Sie griff nach einem der Bücher und blätterte darin. Auch wenn sie nicht viel jünger war als Theodor, konnte sie noch sehr gut lesen. „Darf ich Ihnen etwas vorlesen?“ „Sehr gerne“, hörte er sich antworten, selbst überrascht über seine Freundlichkeit. Karla machte es sich in dem großen grünen Sessel gemütlich, der mitten im Raum stand, und fing an zu lesen. Er hörte ihr gespannt zu. Noch nie hatte ihm jemand etwas vorgelesen. Sie las mehr als zwei Stunden, ohne dass sie sich dabei weiter unterhielten. Als es draußen dunkel wurde, verabschiedete sie sich. „Darf ich morgen wiederkommen?“, fragte sie schüchtern. „Ja, das würde mich sehr freuen“, antwortete der alte Mann. Am nächsten Tag kam Karla mit einem selbstgemachten Kirschkuchen. Er wunderte sich über so viel Großzügigkeit, denn er wusste, dass sie nicht viel Geld hatte. Da der Kuchen ihm vorzüglich schmeckte, fragte er sich, was ihn eigentlich all die Jahre an dem Kirschbaum gestört hatte und entschuldigte sich für sein Verhalten. Wieder las sie ihm aus dem Buch vor und die beiden merkten, wie gut sie sich verstehen. Von dem Tag an gab es keinen Mittag, wo sie nicht gemeinsam aßen. Sie kochten gemeinsam, Karla las ihm etwas vor, sie lachten und unterhielten sich viel. Sehr bald bemerkten beide, wie sehr sie die gemeinsame Zeit genossen. Das ging viele Monate weiter. Jeden Mittag kam Karla „Theo“, wie sie ihn nun nannte, besuchen. Er hatte nie wieder laufen gelernt und konnte deshalb das Haus nicht mehr verlassen. An einem regnerischen Donnerstag im Frühling wartete Theo bis abends auf Karla. Da Zuspätkommen gar nicht ihre Art war, fing er an, sich Sorgen zu machen und rief auf der kleinen Polizeistation des Dorfes an. Er bat den Polizisten, einmal nach dem Rechten zu sehen. Der Polizist fuhr zu Klara und klingelte mehrmals. Als keiner die Tür öffnete, ging er durch die nicht verschlossene Tür in das Holzhaus der alten Frau. Der Polizist fand Karla tot in ihrem Bett. Er verständigte einen Arzt und bestellte einen Leichenwagen. Theodor beobachtet alles durch sein Küchenfenster. Erst das Eintreffen des Arztes und dann sah er den Leichenwagen kommen. Wie gelähmt sah er, wie sich die Nachbarn vor Karlas Haus versammelten. Dann klingelte es an seiner Tür. Es war der Polizist. „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihre Nachbarin Karla Klitzke in der letzten Nacht verstorben ist. Der Arzt sagte, dass sie sanft und ohne Schmerzen eingeschlafen ist.“ Als der Polizist ging, blieb Theo ganz allein in seinem großen Haus zurück. Er saß wie regungslos in seinem Rollstuhl und blickte in den Garten auf den Kirschbaum. Die Äste waren voll von wunderschönen weißen Blüten. Eine Träne lief ihm über die Wange. Jetzt merkte er, dass Karla der einzige Mensch in seinem Leben war, der immer richtig freundlich zu ihm gewesen war und dass sie die einzige war, die er jemals geliebt hat und je lieben wird. Nur würde er ihr das niemals mehr sagen können.

 


 

 Ruf der Sirenen von Kiona Ronnewinkel

Der kalte Nachtwind ließ Rans Haar herumwirbeln. Lautlos glitt sie weiter durch das Wasser. Ein roter Fleck in der Ferne hatte ihr Interesse geweckt. Es schien, als würden sich dort hinten graue Schatten mit dem Himmel vermischen. Noch nie zuvor hatte die junge Sirene etwas dergleichen gesehen. Jeder Flossenschlag brachte sie näher an das unheimliche Gebilde heran. Sie hielt kurz inne. Angestrengt versuchte sie einen festen Punkt zu fixieren, aber es gelang ihr nicht. Ihr Blick rutschte immer wieder ab. Mit mulmigem Gefühl im Magen setzte sich das Mädchen wieder in Bewegung. Sie war so konzentriert, dass sie nicht bemerkte, wie die Luft um sie herum heißer wurde. Plötzlich stieg ihr der Geruch von verbranntem Fleisch und Haar in die Nase. Angewidert würgte Ran. Was auch immer hier passiert war, es hatte den sonst so lebendig wirkenden Ozean in ein Schlachtfeld verwandelt. So schnell wie möglich wollte das Mädchen weg von diesem Ort. Gerade als sie kehrt machte, fiel ihr Blick auf eine leblos im Wasser treibende Gestalt. Vorsichtig näherte Ran sich ihr. Sie erkannte einen hübschen jun¬gen Mann. Sein schwarzes, lockiges Haar hing kraftlos im Wasser und seine Haut wirkte krank und fahl. Die Sirene konnte es sich nicht erklären, aber sie fühlte sich auf eine seltsame Art zu ihm hingezogen. Langsam beugte sie sich über ihn. Er atmete noch, wenn auch nur sehr flach. Angestrengt überlegte Ran, was sie nun tun könnte. Den Unbekannten seinem Schicksal überlassen? Allein der Gedanke löste bei dem Mädchen tiefe Trauer aus. Hilfe ho¬len? Doch von wem sollte sie diese bekommen? Da fiel ihr eine kleine Höhle ein, in der sie in ihren jungen Jahren häufig gespielt hatte. Entschlossen nahm sie den Arm des Mannes und zog ihn hinter sich her. Nach ein paar endlos erscheinenden Minuten erreichte sie schließlich die mit Algen und Seetang bewachsene Höhle. Kurz warf Ran dem Fremden einen Blick zu, dann schlug sie mit ihrer Flosse und tauchte unter. So schnell wie möglich glitt sie unterhalb der Felswand entlang und kam auf der anderen Seite wieder an die Oberfläche. Behutsam leg¬te sie den jungen Mann auf dem kühlen Steinboden ab und setzte sich neben ihn. Es faszinier¬te Ran, wie sein Oberkörper sich abwechselnd hob und senkte. Als sie gerade über ihre weite¬re Vorgehensweise nachdachte, fiel ihr etwas kleines Glitzerndes in der Jackentasche des Mannes auf. Neugierig nahm sie es heraus und betrachtete es von allen Seiten. Das mit Schnörkeln überzogene Kästchen hatte die Form einer filigranen Muschel. „Seltsam“, dachte sich die Sirene und nahm den winzigen Verschluss zwischen ihre Finger, um den Inhalt der Schatulle betrachten zu können. Entgegen ihrer Erwartungen waren dort keine Perlen oder Goldstücke drin. Stattdessen fing ein Lied leise an zu spielen. „Gefällt es dir?“ Erschrocken fuhr Ran herum. Der junge Mann, der eben noch so fest zu schlafen schien, hatte sich aufge-setzt. „ Es…ist wunderschön“, stammelte sie. „Nun, du kannst sie behalten, wenn du willst. Ich bekam sie einst von einer Prinzessin aus dem Norden. Du erinnerst mich an sie.“ Der Mann hustete Wasser aus. „Mein Name ist Benjamin, Benjamin Morgan. Dürfte ich den dei-nen ebenfalls erfahren?“ „Ich heiße Ran.“ „Ran…Was für ein bezaubernder Name.“ Ein ver-schmitztes Lächeln breitete sich auf Benjamins Gesicht aus. „Es scheint, als müsse ich länger hierbleiben. Das Feuer hat mich schwerer verwundet als erwartet.“ Zögernd nickte die Sirene. „Verzeiht, Benjamin, aber ich muss nun wieder nach Hause. Zu lange war ich fort. Meine Schwestern werden sich große Sorgen machen. Sobald wie möglich werde ich euch besu-chen.“ Mit diesen Worten stürzte sich das Mädchen in das tiefblaue Wasser und verschwand. In den nächsten Tagen besuchte Ran Benjamin immer wieder. Sie brachte ihm Essen und Trinken, Bücher und Kleidung. Häufig fragte der junge Mann, woher sie all diese Dinge nahm. Aber Ran wich ihm jedes Mal aus. Er durfte es einfach nicht erfahren. Ihr Geheimnis, welches sie Jahr für Jahr von innen heraus zerfraß, wie eine ausgehungerte Schlange. Ihr Ge-heimnis, in welchem sie ein Monster war. Sie war sich sicher, dass Ben sie hassen würde, sobald er die Wahrheit kannte. Sirenen sind keine Freunde, sie sind blutrünsti-ge Bestien. Ran und Benjamin unterhielten sich oft stundenlang. Der Mann erzählte von den vielen Abenteuern, die er bereits erlebt hatte und Ran lauschte gespannt seinen Worten. Sie würde gerne ein Leben wie das seine führen. Nicht länger in ihrer leeren Welt leben und dar-auf warten, dass der Tod sie einholte. „…und so segelte ich bis in die Karibik“, beendete Ben seinen Satz. In der Höhle war nichts weiter als das Wellenrauschen zu hören. Lächelnd öffne-te Ran ihren Mund und fing an zu singen. Sie hatte eine einzigartige Stimme, die jeden ver-stummen ließ, der sie hörte. Mit einem kurzen Blick schaute die Sirene in die grauen Augen des Mannes. Sie glitzerten im schwachen Licht der Sonne. „Bitte, sing weiter“, flüsterte Ben leise. Sanft nickte Ran und fuhr fort. Nachdem der letzte Ton schließlich ihren Mund verlas-sen hatte, war es wieder eine ganze Zeit lang still. Die beiden schauten sich einfach nur an. Zögernd unterbrach Benjamin das Schweigen: „Ich fürchte, dass bald die Zeit gekommen ist, zu gehen. Meine Wunden sind verheilt.“ Tränen stiegen in die Augen des Mädchens. „Du willst mich verlassen?“ „ Nein, ich würde nichts lieber tun, als bei dir zu bleiben.“ Zärtlich strich Ben über ihre Wange. „Dann tu es!“ „Meine schöne Ran, das hier ist deine Welt, nicht meine. Ich gehe dorthin, wo der Wind mich hinführt, wo die Vögel ihre Kreise ziehen. Doch du lebst hier. Dein zu Hause ist hier.“ Immer wieder schüttelte Ran ihren Kopf. Fassungslos und mit schwerem Herzen rutschte sie über den Boden und ließ sich schließlich ins Meer fal-len. Da ihre zittrigen Arme kaum Halt im Wasser fanden, brauchte es einige Anläufe, bis sie auf der anderen Seite der Höhle ankam. Erschöpft hob sie ihren Kopf aus dem schäumenden Ozean. Ihr rostbraunes Haar bewegte sich im Takt der Wellen. Sie war so mit ihren kummer-erfüllten Gedanken beschäftigt, dass sie nicht bemerkte, wie sie einige Meter weiter ein Mäd-chen mit stechendgrünen Augen beobachtete. Schon eine ganze Weile hatte Marina dem Ge-spräch ihrer Schwester gelauscht. Wie konnte Ran es wagen, dem Mann zu helfen? Sie war eine Sirene und Sirenen halfen niemandem. Sie töteten. Bevor Ran davonschwamm, gab sie noch ein letztes Schluchzen von. Nun trieb Marina alleine in der Bucht. Entschlossen holte sie tief Luft und fing sie an zu singen. Erst etwas zaghaft, dann immer klarer und kraftvoller. Benjamin, welcher gerade in der Höhle unruhig auf und ablief, horchte auf. „ Ran, bist du es?“ Ein wütendes Lächeln umspielte Marinas Lippen. „Nein, nein das bin ich nicht“, flüsterte sie. Außerstande, seine eigenen Handlungen zu kontrollieren, folgte Ben den Klängen. Nur wenige Zentimeter vor dem offenen Wasserbecken stoppte er. Er wollte nicht weitergehen, aber er konnte nicht anders. Kraftlos ließ sich der Mann fallen. Die schweren Wassermassen bauten sich, links und rechts neben ihm, auf wie zwei Türme. Innerhalb weniger Sekunden waren das Leinenhemd und die Hose des jungen Mannes triefend nass und zogen ihn hinab in die Tiefe. Marina, die nun ebenfalls unter Wasser war, sah ihre Chance gekommen. Wie ein Pfeil schnellte sie auf ihn zu und riss, vor Zorn tobend, ihren Mund auf. Gelbe, messerscharfe Fangzähne traten zum Vorschein. Marinas dürre Arme griffen blitzartig nach dem sich win-denden Ben. Die Sirene holte aus und biss, mit voller Kraft, in seine Schulter. Ein gedämpfter Schrei durchzog das Wasser. Rote Bluttropfen quollen aus der frischen Wunde und vermisch-ten sich gleich daraufhin mit der schwarzen See. Benjamin wagte, gequält und voller Schmer-zen, einen letzten Versuch, sich an die Wasseroberfläche zu kämpfen, aber es gelang ihm nicht. Seine Augenlider flatterten, bevor sein erschlaffter Körper in die Tiefe glitt. Mit rot unterlaufenen Augen schaute Ran auf die kleine goldene Muschel, die in ihrer offenen Handfläche lag. Viele Jahre waren vergangen, seitdem Benjamin sie zurückgelassen hatte. Und noch immer krallte sich ihr Herz an die gemeinsamen Erinnerungen, welche sie bis an ihr Lebensende verfolgen sollten.

 


 

Liebe und Tod- Die Taschenuhr von Maximilian Winkler und Daniel Margraf

Es war ein kalter Dezembertag. Ich schlenderte durch die kalten Gassen New Yorks. Ihr müsst wissen: Ich liebe es, nachts alleine durch die leeren Parks und die düsteren Gassen meiner Heimatstadt zu schlendern. Normalerweise bin ich bei meinen Spaziergängen komplett alleine und ungestört, doch diese Nacht war anders als sonst.

Irgendwie konnte ich die Anwesenheit einer zweiten Person spüren und dann sah ich sie: eine bildhübsche, junge Frau, ungefähr in meinem Alter. Sie hatte seidiges schwarzes Haar, Haut weiß wie Schnee, blaue Augen wie das Meer. Sie war schlank, wirkte aber trotzdem selbstbewusst. Dann schaute sie mich an und ging auf mich zu. Ich kam ins Schwitzen und wurde nervös, doch dann sprach sie mich an. Sie fragte, was ich im Park so spät in der Nacht machen würde, und ich erwiderte, dass ich es liebe, nachts spazieren zu gehen, da ich die Atmosphäre liebe. Sie lächelte mich an und sagte, dass sie aus demselben Grund wie ich noch spazieren sei. Dass sie die Atmosphäre liebt , einfach mal den Alltag links liegen lassen und für sich alleine sein wolle.

Nun fingen wir an, uns jedes Wochenende nachts zu treffen, um gemeinsam spazieren zu gehen. Eines Nachts schenkte sie mir eine kleine Taschenuhr. Sie sagte, dass dies die Taschenuhr ihres geliebten Großvaters und ihr teuerster Besitz sei. Ich war zutiefst gerührt, überlegte, ob ich ein so großzügiges Geschenk von ihr annehmen könnte, aber letztlich willigte ich dankend ein und ließ die Taschenuhr langsam und vorsichtig in meine Jackentasche gleiten. Ab dann verabredeten wir uns regelmäßig um 1:00 Uhr nachts im Park. Doch eines Nachts wartete ich vergeblich auf sie. Nach einer gefühlten Ewigkeit fing ich an, mir ernsthaft Sorgen um die nun schon recht bekannte Frau zu machen. Ich machte mir „was wäre wenn“-Gedanken, bis ich auf mein Handy schaute. 3:00 Uhr nachts. Ich sprintete zu ihrem Haus und kam um 3:20 Uhr dort an. Da sah ich es. Mehrere Polizeiwagen und Krankenwagen. Ich versuchte, dies alles schönzureden und die Tränen zu unterdrücken. Ich ging nun zitternd auf das Haus zu, überlegend, ob ich überhaupt die Wahrheit verkraften oder wissen wolle, doch die Polizisten teilten mir mit, dass man sie auf ihrem Balkon gefunden habe. Erhängt. Ich … konnte es nicht fassen. Die Autopsie der Polizei ergab, dass sie schon seit 4 Stunden tot war. In Tränen aufgelöst schaute ich mir nochmal die Taschenuhr an, die diese Frau mir geschenkt hatte, von der ich nicht einmal den Namen kannte. Es war ihr teuerster Besitz und sie schenkte es einem fast fremden Mann. Ich schaute mir erneut die wunderschöne Taschenuhr an, die sie mir geschenkt hatte, und als ich genauer auf das Ziffernblatt schaute, gefror mir das Blut in den Adern. Die Uhr zeigte 23:20 Uhr an. Seitdem habe ich sie auch nie wieder zum Laufen gebracht.

 


 

Liebes Tagebuch von Louise Pascheberg            

Liebes Tagebuch,                                                                                                        21.06.‘14

Ähm…erstmal Hi! Ich bin Lilli. Ich hab keine Ahnung, was ich in dich schreiben soll, aber meine Psychologin meinte, dass es vielleicht hilft, wenn ich etwas aufschreibe. Nun denk bitte nicht, dass ich geisteskrank wäre oder so, ich hab einfach nur eine schwere Zeit hinter bzw. vor mir. Aber mal ganz von vorne, ich bin siebzehn, gehe aufs Gymnasium (noch) und bin eigentlich grade dabei, mein Abi zu machen, wie gesagt, eigentlich, denn ich denke nicht, dass ich es schaffen werde. Tut mir leid, wenn du später von Tränen durchnässt bist, aber würde man sie alle auffangen, könnte man eine Badewanne füllen. Wie muss es einem wohl gehen, wenn man jemanden Wichtigen nicht nur einmal im Leben, sondern öfter verliert? Wie halten diese Leute das aus? Mein Freund Ben ist vor circa einem Monat gestorben, an Krebs. Vor einem halben Jahr bekam er die Diagnose, Lungenkrebs im Endstadium. Die Ärzte sagten, er habe noch ein halbes Jahr, doch schön war es nicht. Diese ganzen Geschichten im Fernsehen, bei denen die Krebskranken ihre lebensfrohe Art nicht verlieren und den Krebs dann besiegen oder sich noch die letzten Wünsche erfüllen, auf so ein Ende habe ich auch gehofft. Und ist es passiert? Nein, eher im Gegenteil. Den letzten Monat hat Ben sich nur noch gequält, schrecklich ist es, morgens aufzuwachen und zu wissen, auch heute wird es nicht besser sein. Es kann jeden Moment zu Ende gehen. Er konnte nichts mehr tun, hatte einen Daueraufenthalt im Krankenhaus, bis er zuletzt starb. Ich konnte mich noch nicht mal von ihm verabschieden. Das einzige, was ich bekam, war ein Anruf vom Krankenhaus über eine Minute: „Hallo, Frau Klark, tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Freund Ben letzte Stunde verstorben ist.“ Sehr emotional ist das nicht. Ich frage mich ,wie oft sie so einen Anruf machen, dass sie etwas so trocken rüberbringen. Danach probierte ich mich mit Schlaftabletten umzubringen, als meine Augen langsam zufielen und ich den Schmerz nicht mehr spürte, war es so schön, als würde die ganze Last von mir fallen. Ich fühlte mich richtig geborgen. Und doch hörte ich immer eine Stimme neben mir, die flüsterte : „Nein, geh nicht, geh nicht.“ Aber ich wollte es. Doch meine Mum hat mich gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Ich werde es wieder probieren, wenn sich der Trubel aufgelöst hat. Denn so will ich nicht leben, nicht in dieser Welt. Und dann ist in einer Woche auch noch die Beerdigung von Ben, und ich weiß nicht, ob ich es bis dahin aushalte. Liebe Grüße, Lill

Liebes Tagebuch,                                                                                                                     23.06.´14

tut mir Leid, dass ich gestern nicht geschrieben habe, doch mir ging es nicht so gut. Immerzu denke ich an Ben. Manchmal, wenn ich schlafe, denke ich, er liegt neben mir und berührt meinen Arm. Andererseits glaube ich ihn im Badezimmer neben mir Zähne putzen zu sehen. Ist das Fantasie, oder sehe ich Geister? So gerne hätte ich mich wenigstens von ihm verabschiedet, ich meine, dass er stirbt, damit habe ich gerechnet, aber ihm nicht mal eine gute Reise in den Himmel wünschen zu können? Vielleicht hätte ich es kommen sehen sollen, immerhin haben schon einmal die Maschinen, die ihn am Leben hielten, versagt. Vielleicht ist auch alles meine Schuld. Versagen gehört zu unserer Welt. Es gibt keine absolute Sicherheit. Jede Technik hat Schwachstellen. Versagen ist menschlich. Mit Versagen nicht zu rechnen ist verantwortungslos und unmenschlich. Man sollte nur wissen, wann man versagt hat.
Liebe Grüße, Lill

Liebes Tagebuch,                                                                                                                      23.06,‘14

dass ich dir geschrieben hab, ist keine drei Stunden her, und grade habe ich ihn schon wieder gesehen. Er winkte mir zu, als ob er mir etwas zeigen oder sagen wollte. Das kann doch nun kein Traum sein, oder werde ich doch langsam verrückt? Tagein, tagaus hör ich „When you´re gone“, denn nur dann denke ich, dass jemand mich versteht. Liebe Grüße, Lill

Liebes Tagebuch,                                                                                                                    26.06.‘14

Zwei Tage lang ist nichts passiert. Keine außergewöhnlichen Vorkommnisse. Ich ging normal zur Schule, kam nach Hause, machte irgendwas, um dann schlafen zu gehen. Hatte ich diese Geistererscheinungen einfach nur in meinem Kopf zusammengesponnen? Ich weiß es nicht. Naja… also in 2 Tagen ist die Beerdigung von Ben, und ich habe so ein schlechtes Gewissen. Willst du wissen, von wem ich den Spitznahmen Lill habe? Von Ben. Fast alles in meinem Leben erinnert mich an ihn. Meine Klamotten, die Schule, meine Freunde. Alles ist schrecklich! Diese Leute, die dich so mitleidig angucken, wie sie mit dir reden und wie sie dich bloß nicht auf Ben ansprechen. Obwohl es eigentlich mal gut tun würde, mit jemandem zu reden. Nichts gegen dich, aber du antwortest ja nie und kannst einen auch nicht aufbauen. Ich vermisse ihn so sehr! Es ist, als ob ich ganz allein wäre. Ich brauche ihn so sehr. Alles würd ich tun, um bei ihm zu sein. Wir waren füreinander gemacht. Ich frage mich, ob dieser Schmerz jemals aufhören wird?! In Liebe, Lill

Liebes Tagebuch,                                                                                                                    28.06.‘14

Heute ist der Tag, an dem Ben beerdigt wird. Doch jetzt habe ich mich bei Ihm verabschiedet. Heute Nacht war ich bei Ihm. Er hat mir alles erklärt. Sein letzter Wunsch war es, mich noch einmal wiederzusehen. Er war im Jenseits, dort kommen Tote hin, die auf der Erde noch etwas zu erledigen haben. Ich verabschiedete mich und sagte, dass ich ihn liebe. Er sagte, er liebe mich auch und vermisse mich und würde am liebsten für immer bei mir bleiben, doch das ging nicht, den die Toten gehören nicht in die Welt der Lebenden, und nun wusste ich, was zu tun war. Heute wird das letzte Kapitel geschrieben. Das letzte Kapitel von allem, vom Schmerz, vom Vermissen und vom ewigen Mitleid. Das ist mein letzter Eintrag an dich. Ich habe noch nicht mal Angst.
Für Immer und ewig, Lill Dieses Tagebuch fand ich am 02.07.14 auf dem Friedhof, neben einer weiblichen Leiche. Die Leiche lag neben einem Grab, das Grab gehörte Ben Schmidt. Die Polizei teilte mir später mit, dass es sich bei der Leiche um ein Mädchen Namens Lilli Klark handelte, was ich mir bei den geschriebenen Worten fast schon dachte. Auch wenn es alle glauben, ich denke, sie war nicht verrückt und depressiv. Ich hoffe, sie ist an ihrem Ziel angekommen und hatte eine gute Reise.

 


 

Das Leben meiner Schwester von Anneke Bruens

Mein Name ist Sophie, ich bin 23 Jahre alt und lebe und studiere seit ein paar Jahren in München. Meine Eltern wohnen in einem kleinen Ort in der Nähe von Leipzig. Ich freue mich jedes Mal darauf, wieder zu ihnen zu fahren. Dann bin ich endlich wieder aus der Stadt heraus und sehe wieder das Grüne. Ich liebe es, einfach mal auf den Feldwegen spazieren zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Dabei erinnere ich mich gerne an meine Kindheit zurück. Wie ich mit meiner großen Schwester Theresa über die Wiesen gelaufen bin und wie wir zusammen mit unseren Cousinen und Cousins aus dem Haus unserer Oma ein Hotel machen wollten.

Meine Schwester wohnte während ihrer Studienzeit zusammen mit ihrem Freund in einer kleinen Wohnung in München. Sie ist fünf Jahre älter als ich und studierte Medizin. Für mich ist sie ein sehr großes Vorbild. Sie war sehr hübsch, intelligent und bei allen beliebt. In der Schule hatte sie immer gute Noten und war immer Klassenbeste, selbst die Lehrer waren immer begeistert von ihr. Aber sie hat nie geprahlt, sondern war immer total bodenständig. Nach der Schule machte sie dann ein freiwilliges soziales Jahr in Nigeria und hat dort mit kleinen Kindern gearbeitet. Als sie dann erzählte, dass sie Medizin studieren wolle, war mir sofort klar, dass sie das nur tat, um anderen Menschen zu helfen und nicht um das dicke Geld zu ernten.

Im Gegensatz zu ihr war ich immer nur mittelmäßig gut in der Schule, war nie besonders beliebt und hatte deshalb auch nie viele Freunde. Bis ich dann in die Oberstufe kam.

In Theresas Semesterferien wollte sie uns besuchen kommen. Sie ist gleich am ersten Ferientag morgens losgefahren. Als sie abends immer noch nicht da war, haben wir uns langsam Sorgen gemacht, wo sie bleibt, denn von München bis zu uns braucht man circa fünf Stunden, wenn man gut durchkommt. Ich wollte Theresa gerade anrufen, um zu fragen wo sie bleibt, da klingelte das Telefon. Es meldete sich ein Mann von einem Krankenhaus in Nürnberg, er wolle meine Eltern sprechen. Also gab ich meinem Vater den Hörer. Er war wie erstarrt, während er dem Mann am anderen Ende der Leitung zuhörte. Nachdem er aufgelegt hatte, setzte er sich auf das Sofa, ohne ein Wort zu sagen. Meine Mutter und ich fragten ihn, was denn los sei und ob etwas mit Theresa passiert sei. Aber er antwortete nicht, sondern schaute mit einer Art „Tunnelblick“ an die Wand. Erst nachdem meine Mutter ihn angeschrien hatte, was denn jetzt los sei, sagte er ohne irgendwelche Emotionen, dass Theresa im Koma liege. Daraufhin fragte ich ihn, in welchem Krankenhaus in Nürnberg sie liege. Und dann saßen wir auch schon im Auto auf dem Weg ins Krankenhaus. Auf der Fahrt schwiegen wir alle drei, meine Mutter fuhr ausnahmsweise, weil mein Vater immer noch nicht richtig bei Sinnen war.

Ich hasste es, ins Krankenhaus zu gehen, ich konnte diesen Geruch einfach nicht ab. Als wir dann im Eingang waren, dachte ich mir, dass ich dort so schnell wie möglich wieder heraus möchte. Beim Betreten von Theresas Zimmer wurde mir dann sogar schwindelig. Überall waren Schläuche und Geräte, die komische Geräusche von sich gaben. Ihr Gesicht war verschrammt und blass. Es tat mir in der Seele weh, sie so zu sehen, sodass ich in Tränen ausbrach. Aber viel mehr tat es mir weh, meine Eltern weinen zu sehen. Ich hatte sie vorher noch nie weinen gesehen.

Es vergingen ein paar Tage, da bekamen wir die Nachricht, dass Theresa aus dem Koma aufgewacht sei. Wir fuhren sofort los. Auch ihr Freund Paul war da. Sie sah zwar immer noch schrecklich aus, aber wir konnten wenigstens mit ihr reden. Sie konnte sich an alles erinnern, außer an den Unfall. Was für sie wahrscheinlich auch besser so war. Wir schauten uns Fotoalben von früher an, die wir vorsichtshalber mitgebracht hatten, falls Theresa sich nicht mehr an uns erinnert hätte. Wir haben viel gelacht und es tat gut, endlich mal wieder mit Theresa zu reden und zu lachen. Ich hatte in den letzten Tagen nämlich nur noch das Bild von Theresa mit den vielen Schläuchen im Kopf. Als wir gehen wollten, sagte Theresa zu unseren Eltern, dass sie noch einmal kurz mit mir alleine reden wolle und dass ich gleich nachkäme. Ich fragte sie, was denn los sei und sie sagte nur: „Verwirkliche du meinen Traum und mach die Welt ein kleines Stückchen besser.“ Ich wollte gerade antworten, doch auf einmal piepte es überall und eine Krankenschwester kam herein und alles ging ganz schnell. Alles um mich herum war verschwommen. Ich sah nur noch, wie ein Arzt herein kam und eine Herzdruckmassage machte. Doch dann hörte er auf und sagte nur noch: „Es ist zu spät. Todeszeitpunkt 17:37 Uhr.“

Ich fing an zu schreien, warum er denn nicht weiter versuche Theresa am Leben zu erhalten. Ich habe den Arzt beleidigt und beschimpft. Dann habe ich nur noch geweint, geschluchzt und ab und zu ein „Nein“ geschrien. Bis Paul kam und mich in den Arm genommen hat. Es fühlte sich total falsch für mich an, er war doch Theresas Freund. Also habe ich versucht mich aus seinen Armen zu befreien, doch hat mich nur noch fester gehalten. Dann standen wir ein paar Minuten Arm in Arm und haben geweint, bis meine Eltern hereingekommen sind. Ich bin sofort zu ihnen gegangen und habe sie in den Arm genommen.

Auf dem Weg nach Hause habe ich mich gefragt, was Theresa damit gemeint hat: „Verwirkliche du meinen Traum und mach die Welt ein kleines Stückchen besser.“ Sie hatte nie etwas davon gesagt, dass sie die Welt verbessern will. Aber vielleicht hat sie genau aus diesem Grund ein freiwilliges soziales Jahr gemacht und hat deshalb auch Medizin studiert.

Seit Theresas Todestag habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, für sie weiter zu leben, um ihren Traum zu verwirklichen. In der Schule habe ich mich angestrengt, einen Notendurchschnitt 1,2 zu erreichen, um Medizin zu studieren. Was ich mit viel Fleiß, Mühe und Arbeit dann auch geschafft habe. Wofür ich hingegen ein paar meiner Freunde verloren habe, weil sie nicht verstehen konnten, warum ich das Ganze mache.

Jetzt studiere ich seit gut vier Jahren Medizin in München und bin seit fast zwei Jahren mit Paul zusammen. Am Anfang war es mir total unangenehm, in ihn verliebt zu sein und wollte deswegen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das war allerdings nicht ganz einfach, er war nämlich noch ein guter Freund der Familie und hat uns deswegen auch ein paarmal besucht. Wenn er da war, habe ich immer versucht, ihn zu ignorieren. Bis er mich dann irgendwann darauf angesprochen hat, was denn mit mir los sei. Es war für mich komisch mit ihm zusammen zu sein, aber er sagt immer, dass Theresa gewollt hätte, dass ich glücklich bin und wenn ich das nun einmal mit ihm bin, hätte sie niemals etwas dagegen gehabt.

Es können nicht viele von sich sagen, dass sie von ihrer Schwester „gemacht wurden“, aber ich schon. Sie hat mich auf den richtigen Weg gewiesen, indem sie nur einen einzigen Satz gesagt hat. Manchmal denke ich darüber nach, was ich jetzt täte, wenn Theresa diesen Autounfall nicht gehabt hätte. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich hatte damals nicht die leiseste Ahnung, was ich mit meinem Leben machen sollte.

Bevor ich eine Entscheidung treffe, denke ich zuerst darüber nach, was Theresa getan hätte. Es tut gut zu wissen, dass jemand anderes genau die gleichen Entscheidungen treffen würde, wie man es selber gerade tut. Ich bin zu frieden mit „meinem“ Leben. Für mich ist Theresa nie gestorben, denn sie lebt in mir.